Einheit mit Katholiken – Versöhnung oder Verführung?

Autor

Stefan Königer

Kategorie

Standpunkt

Magazin

2 / 2020

„Katholiken und Freikirchler versöhnen sich. – Die Katholische Kirche und die Freikirchen in Österreich haben sich gegenseitig ihre Schuld eingestanden und um Vergebung gebeten. Sie wollen gemeinsam das Evangelium verkünden.“ So berichtete das Christliche Medienmagazin „Pro“ am 23.1.2020. Was war geschehen?

Bei einer Festveranstaltung im November 2019 hatte der österreichische Kardinal Christoph Schönborn bekannt, dass die Katholische und die Evangelische Kirche die Freikirchler von Anfang an verfolgt hätten. An die Adresse der Freikirchen gerichtet, sagte er: „Vergebt uns, was unsere Kirche den Täufern in der Reformationszeit angetan hat“ . Im Januar 2020 kam die Antwort der Freikirchen in Österreich (FKÖ): „Ja, wir vergeben“. Reinhard Kummer, der Vorsitzende der FKÖ überreichte diese Mitteilung in einem Brief an den Kardinal. In dem Schreiben drücken die Freikirchen ihre Dankbarkeit um dessen „Bemühungen zur Überwindung historischer Schuld“ aus, und dass in den vergangenen Jahren eine „herzliche Beziehung“ zwischen den Traditionen gewachsen sei. Die Freikirchen entschuldigten sich gleichzeitig dafür, dass sie „anderen Traditionen“ mit „freikirchlicher Arroganz“ begegnet seien. Dies habe ebenfalls zu Verletzungen und Distanzierungen geführt. Nun will sich der Rat der Freikirchen dem Schreiben nach in „respektvollem Umgang […], und mit allen Traditionen den Herausforderungen einer zunehmend säkularen Gesellschaft stellen und das Evangelium von Jesus Christus gemeinsam verkündigen.“

Ist mit solchen Entschuldigungen alles in Butter? Können wir tatsächlich jetzt zusammen mit Katholiken evangelisieren? Tatsächlich hatte die Katholische Kirche während der Reformationszeit in der Habsburger Monarchie die Täufer grausam verfolgen lassen und vielfach öffentlich als Irrlehrer und Verführer verbrannt. Wir müssen aber bedenken, dass eine Entschuldigung für sündige Taten nicht automatisch eine Einsicht über falsche Lehren bedeutet. So suggeriert diese Entschuldigung eine Einheit, die so nicht besteht!

Eine Entschuldigung für sündigen Taten zeigt nicht automatisch eine Einsicht über falsche Lehren

Denn nach wie vor lehrt die Katholische Kirche in heilsentscheidenden Punkten anders, als die Heilige Schrift es lehrt. So bezeichnet diese Kirche immer noch die Heilige Schrift und die Tradition (Lehren der Päpste und Konzilien) als Grundlage des Glaubens, und nicht die Heilige Schrift allein (sola scriptura)! Und die Errettung wird immer noch katholisch gelehrt durch Glauben und Werke, anstatt durch Glauben allein (sola gratia).

Es fällt auf, dass in den vergangenen Jahren katholische Frömmigkeitspraktiken in evange- likalen Medien immer mehr beworben werden. So wird z. B. in der evangelikalen Zeitschrift „Aufatmen“ ohne jegliche Kritik und sehr positiv berichtet über Aufenthalte in katholischen Klöstern, über Wallfahrten, alleine oder ge- meinsam mit anderen, oder über das mystische Jesus-Gebet.

Katholische Frömmigkeitspraktiken werden immer mehr in evangelikalen Medien beworben

In evangelikalen Medien werden katholische Theologen, Bischöfe und Pater immer öfter zitiert, als wären sie wiedergeboren und Vorbilder für uns. Ihre Artikel und Erfahrungen werden abgedruckt und übernommen. Evangelikale Verlage veröffentlichen ihre Bücher, und sie werden sogar zu evangelikalen Großveranstaltungen als Redner eingeladen. Dabei vermeidet man Kritik an katholischen Sonderlehren und Irrlehren, bemüht sich stattdessen um eine Annäherung an die Katholische Kirche und betont die Einheit.

Was ist die Ursache dieses Schwenks von den in der Reformation erkannten biblischen Prin- zipien zurück zu den katholischen Traditionen, die das Evangelium verfälscht und vielfach unwirksam gemacht haben? Man möchte heute Gott spüren. Viele wollen glauben und gleichzeitig auch Gott erleben. Man gründet seinen Glauben nicht mehr auf die Heilige Schrift allein, sondern auf die Bibel und die Gefühle. Es zählt nicht die Wahrheit, sondern das Gefühl und Erlebnis.

Man möchte heute Gott spüren und erleben

Vielfach geht es nicht mehr darum, Gott durch die Schrift immer mehr zu erkennen, sich von Sünde zu reinigen und dem Herrn mit der Freude des Heiligen Geistes zu dienen. Vielmehr möchte man schnell vom Glauben zum Erleben kommen. Wenn das eigene Glaubensleben ausgetrocknet ist, bieten moderne Musik, religiöse Stimmung und gefühlvolle Gruppenerlebnisse etwas für die Seele. Angereichert und verstärkt kann das noch werden durch feierliche Zeremonien, Weihrauch, Kerzen und mystische Stimmung. So kann man etwas erleben, was man für göttlich hält, aber letztlich nur seelisch ist.

Johannes Hartl begeistert immer mehr Evangelikale

Eine Schlüsselfigur und einer der einfluss- reichsten Prediger ist momentan Johannes Hartl. Eindringlich und überzeugend spricht der katholisch-charismatische Theologe über die persönliche Beziehung zu Jesus Christus und die Wichtigkeit des Gebets. Dies untermauert er nicht nur durch seine Bücher über dieses Thema, sondern auch durch sein Gebetshaus in Augsburg, in dem 24 Stunden rund um die Uhr gebetet wird. Er hat viele im Glauben ermutigt, da er sich deutlich zu biblisch-ethischen Themen bekennt, z. B. zur Treue in der Ehe, zur geschlechtlichen Enthaltsamkeit vor der Ehe, zur Ablehnung von Homosexualität und Gender-Mainstreaming. Darüber hinaus ver- steht er es, diese heute so unpopulären Überzeugungen mit guten Argumenten gewinnend und so freundlich vorzubringen, dass viele ihm erst einmal zuhören.

Zu Hartls MEHR-Konferenzen kamen 2018 rund 11.000 Teilnehmer, von denen ca. 40% aus evangelischem oder freikirchlichem Hintergrund stammen. Im Januar 2020 waren es 12.000 Teilnehmer. Auf diesen mehrtägigen christlichen Events erlebt man konfessionsübergreifend Vorträge, Gemeinschaft, Gebete und Gefühle.

In seinen Vorträgen verwendet er viele evangelikale Ausdrücke und geistliche Stichworte, die positive Assoziationen aufbauen. Allerdings füllt er ihre Inhalte nicht evangelikal, sondern mit einem katholischen Verständnis. Man muss also genau hinhören, wenn man verstehen will, was er wirklich meint. Des Öfteren bringt er typisch katholische Lehren erst gegen Ende seines Vortrags vor. Einerseits kann Hartl bei einer MEHR-Konferenz beteuern, dass hier Konfession oder Dogmatik keine Rolle spielen würden, andererseits werden in der emotional aufgeladenen Atmosphäre neben Ermutigung zu mehr Gebet die Grundlagen charismatischer und katholischer Theologie in Lehre und Praxis vermittelt.

Dass Hartl von der katholischen Lehre völlig überzeugt ist und dafür wirbt, wird auch in dem von ihm initiierten „Mission Manifest“ deutlich. Der Untertitel erklärt, worum es geht: „Die Thesen für das Comeback der Kirche“. Und im katholischen Sinn meint „Kirche“ immer die Römisch-Katholische Kirche. Alle offen zur Schau getragene Freundlichkeit und Offenheit gegenüber Protestanten und Evangelikalen darf darüber nicht hinwegtäuschen.

Unter These 6 dieses Manifestes heißt es, dass man dankbar ist für alle Christen außerhalb der Katholischen Kirche und sich über ihre missionarischen Aktivitäten freut. „Wir wollen demütig lernen – auch und gerade von den Freikirchen …, um selbst missionarischer zu werden.“ Das bedeutet aber nicht, dass man von ihrer bibelbezogenen Theologie lernen will. Vielmehr begrenzt sich das Lernen von ihnen

auf die Methoden, die sie verwenden, um Menschen zu erreichen. In These 7 werden deshalb die Inhalte des [katholischen] Glaubens betont, die neu entdeckt und klar verkündigt werden müssen. „Wir haben sie durch Gottes Offenbarung empfangen, finden sie gefasst im Urdokument der Heiligen Schrift und lebendig überliefert im Verstehen der Kirche, wie es der Katechismus lehrt.“

Katholische Dogmen interpretieren die Bibel

Das ist reine katholische Lehre, wie sie im Konzil zu Trient gelehrt und später für unfehlbar erklärt wurde. Nicht die Bibel allein ist Grundlage des Glaubens, sondern ebenso die Tradition, d. h. die Lehren der Päpste und Konzile, wie sie im Katechismus der katholischen Kirche erläutert werden. Michael Kotsch schreibt in seinem lesenswerten Buch „War die Reformation ein Irrtum? Evangelikale und die katholische Kirche heute“ ganz richtig: Als überzeugtem Katholiken stehen für Johannes Hartl Dogmen des kirchlichen Lehramtes (von Bischöfen und Päpsten) über den unmittelbaren Aussagen der Bibel. Wer demnach etwas in der Heiligen Schrift anders versteht als in der katholischen Dogmatik, der muss sich aus kirchlicher Sicht im Irrtum befinden. Johannes Hartl: „Als Christ bin ich Teil der Kirche und damit Teil eines Glaubens, der eine viel längere Geschichte hat als mein persönlicher Glaube oder meine persönliche Jesus-Beziehung. Dieser Glaube der Kirche ist geprüft und verlässlich. Im persönlichen Bibelstudium kann es auch einmal passieren, dass eine Stelle missverstanden oder falsch interpretiert wird. Der Glaube der Kirche gibt hier Richtung und Sicherheit.“ Dementsprechend verteidigt und erklärt Hartl auch die Stellung des römischen Papstes, die Verehrung von Maria und den Heiligen, die Sakramente zur Vermittlung des Heils, die Wandlung und Anbetung der Hostie, die Rosenkranz-Gebete oder den Zölibat. Er fordert seine Zuhörer auf, sich mehr mit dem katholischen Katechismus zu beschäftigen, und auch evangelikale Christen sollten von der katholischen Tradition lernen.

Wiedergeboren durch die Taufe?

Wenn man das Evangelium verkündet, ist es natürlich wichtig zu wissen, wie ein Mensch gerettet wird. Hartl spricht zwar viel von der persönlichen Beziehung zu Jesus, aber für ihn ist klar, dass erst die Taufe das Heil Gottes vermittelt und den Menschen so in die Kirche eingliedert. Umgekehrt werden alle Getauften als Christen betrachtet. Dies entspricht ganz dem, was Papst Franziskus lehrt: Wenn der Täufling mit Wasser übergossen und „auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft werde, sterbe der alte, sündige Mensch, und der neue Mensch werde als Gottes Kind neu geboren.“ Dies ist aber ein anderer Weg zum Heil, als es die Heilige Schrift lehrt. Dies ist keine Nebensache, sondern betrifft die Grundlage echten Christseins! Begeisterung und fromme Gefühlserlebnisse sind eben nicht dasselbe wie eine Wiedergeburt durch den Heiligen Geist, der Sündenerkenntnis und Lebensumkehr (Buße) vorausgehen.

Als überzeugter Katholik glaubt Hartl auch an das Sakrament der Eucharistie: Durch die Einsetzungsworte des Priesters werden angeblich die Hostie und der Wein völlig in den Leib und das Blut Christi verwandelt. Deshalb könne in der Hostie „Jesus … angebetet und verehrt werden.“ So wird auch bei MEHR- Konferenzen im Raum der Stille die gewandelte Hostie in einer Monstranz öffentlich ausgestellt, damit durch sie Jesus angebetet wird. Dies nennt man „eucharistische Anbetung“. Im zweiten der zehn Gebote wird das klar verurteilt: 2. Mose 20,4–5: „Du sollst dir kein Gottesbild anfertigen noch irgendein Abbild weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf der Erde, noch von dem, was im Wasser unterhalb der Erde ist! Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen und ihnen nicht dienen [od. sie nicht anbeten]!“

Hartl geht noch weiter: Er empfiehlt nicht nur die Anbetung der konsekrierten Hostie als Horizonterweiterung für alle Christen, sondern wirft nicht-katholischen Christen sogar vor, sich zu versündigen, wenn sie die Wandlungslehre nicht teilen: „Wenn wir Jesus in der Eucharistie […] nicht ehren, dann versündigen wir uns und ziehen uns das Gericht zu.“

Unter dem Deckmantel der ökumenischen Offenheit werden mit verführerisch evangelikal klingenden Worten katholische und charis- matische Lehren und Praktiken auch unter Evangelikalen salonfähig gemacht und beworben. Da viele junge Christen heutzutage christliche Aktivitäten nicht mehr genügend an der Bibel prüfen, bemerken sie nicht, dass sie einer Vermischung von Gutem und Richtigen einerseits, und Scheinchristlichem und letztlich Heidnisch-Sündigem aufsitzen. Wenn die Art und Weise cool und smart rüberkommt, wird es wohl richtig sein. Scheinen der Zustrom und der Erfolg „Hartl & Co.“ nicht recht zu geben? Und wer will sie nicht: Harmonie und Einheit unter den Gläubigen, statt Streitigkeiten und „kleinliche“ Rechthabereien?

Einheit mit Katholiken?

Natürlich ist echtes Christsein nicht an eine Konfession gebunden. Andererseits kann geistliches Leben nicht durch gefühlvolle Erlebnisse erzeugt oder verstärkt werden. Die Bibel zeigt uns, dass das Erkennen der eigenen Sünde und Sündhaftigkeit dazugehört, die Bitte an Gott um Vergebung, und die Bereitschaft, Jesus als dem Herrn zu folgen und ihm in der Kraft des Heiligen Geistes zu dienen. Die Reinigung des Lebens bedeutet aber auch, alle religiösen Praktiken dem Prüfstein der Bibel zu unterwerfen und sich gegebenenfalls auch von lieb gewonnenem Religiösen zu trennen. Gerade angesichts des Verfalls des Glaubens in unserer Gesellschaft ist ein Zurück zur Quelle, zur Bibel, gefordert. Jesus Christus will keine Mitläufer, sondern Jünger: Schüler, die von ihm und seinem Wort lernen und sich eben nicht von ihren Gefühlen leiten lassen, sondern vom Heiligen Geist, der das Wort Gottes anwenden will.

Man könnte überlegen, ob es angesichts der säkularisierten Umwelt in Europa stellenweise hilfreich sein könnte, punktuell und projektbezogen – z. B. beim Einsatz gegen Abtreibung oder die Gender-Ideologie – die Kräfte zu bündeln und gemeinsam aufzutreten. Das beträfe aber allenfalls die Ethik des Glaubens, wo wir als Evangelikale gerade mit Katholiken manche gemeinsamen Überzeugungen haben, mehr noch als mit manchen Evangelischen.

Wenn es aber um Evangelisation, Gemeindebau oder Anbetung (!) geht, sind wir herausgefordert, unser biblisches Verständnis nicht vorschnell preiszugeben. Unsere Vorväter wussten, warum sie bereit waren, hierfür ihr Leben zu geben: weil sie durch den Heiligen Geist die biblischen Wahrheiten erkannt hatten und durch sie befreit wurden. Hier dürfen wir die Aufforderung, mehr auf die Lehre zu achten, übernehmen. Aber nicht, weil es in einem katholischen Manifest steht, sondern weil unser Herr dies in seinem Wort zu uns sagt: „Ich fürchte aber, dass, wie die Schlange einst Eva mit ihrer Arglist verführt hat, so auch eure Gedanken von der Einfalt und lauteren Gesinnung gegen Christus zum Argen hingezogen werden. Denn wenn irgend jemand daherkommt und euch einen anderen Jesus verkündigt, den wir nicht verkündigt haben, oder wenn ihr einen andersartigen Geist empfangt, den ihr (durch uns) nicht empfangen habt, oder eine andersartige Heilsbotschaft, die ihr (durch uns) nicht erhalten habt, so lasst ihr euch das bestens gefallen“ (2. Kor 11,3–4).

Wir werden gewarnt vor einem anderen Jesus, z. B. vor einem Jesus in der Hostie, im sogenannten „Sakrament des Altars“; wir werden gewarnt vor einem anderen Geist, z. B. dem charismatischen Geist, der nicht die biblische Wahrheit erhellt, sondern durch Gefühle und Erlebnisse verführt; und wir werden vor einem anderen Evangelium gewarnt, das auch unsere Werke und die Sakramente erforderlich macht, um gerettet zu werden.

Absonderung von Falschem und Verführerischem hat in der Regel die Einheit derer gefördert, die sich der biblischen Wahrheit verpflichten. So wollen wir Atheisten, Charismatikern und Katholiken in Liebe das Evangelium nahebringen und dabei unser Vertrauen auf Gott setzen, der Gebet erhört.

Autor

Stefan Königer